User Experience und dessen Anwendungsgebiete in der Bankenbranche

Die Bankenbranche durchlebt aktuell schwierige Zeiten – vielleicht die herausforderndsten in der Neuzeit. Welche Herausforderungen stehen der Branche bevor? Wie kann eine gute User Experience (UX) dabei helfen, Banken auch weiterhin gut für die Zukunft zu rüsten?

Aktuelle Herausforderungen der Bankenbranche - Konkurrenzdruck durch FinTechs

Lange Zeit hat sich die Bankenbranche durch lokale Nähe zu ihren Kunden und persönlicher Betreuung in der nächsten Filiale ausgezeichnet. Doch durch den Beginn der Digitalisierung haben Unternehmen wie PayPal, N26 oder Trade Republic gezeigt, wie Banking jenseits der Filiale in der digitalen Welt aussehen kann. Die nun kommenden Generationen sind deutlich IT-affiner und legen keinen großen Wert mehr auf die Filiale ums Eck. Sie tätigen Überweisungen via QR-Code und bezahlen mit dem Wallet ihres Handys.

Für viele Banken bildet diese neue Welt des Bankings eine große Herausforderung. Einerseits müssen sie den Markttrends folgen, um neue Kunden zu gewinnen und am Puls der Zeit zu bleiben. Andererseits geht es darum, finanzstarke Bestandskunden, die vielleicht nicht so IT-affin sind, weiterhin gut betreuen zu können und zufriedenzustellen.

Obsoleszenz in der Banken-IT

Die große Menge zu speichernder Daten, insbesondere die mathematische Verarbeitung von Zahlen hat dazu geführt, dass die Bankenbranche bereits sehr früh auf den Zug der Digitalisierung aufgesprungen ist. Sie war in gewissen Bereichen Vorreiter und trieb somit den IT-Markt und die Verbreitung von Großrechnern voran, oft in Kombination mit Kernbankensystemen und auf COBOL-Basis.

Der damit erzielte Erfolg bestätigte diese Strategie, führte aber auch zu einer Stagnation der Modernisierung in den Banken. An bestehenden Kernbankensystemen, oft auf COBOL-Basis, wurden oft über Jahre, gar Jahrzehnte, nur unwesentliche Neuerungen und Verbesserungen vorgenommen.

Diese steigende Obsoleszenz in der Banken-IT führt dazu, dass inzwischen viele nur noch schwer oder gar nicht mehr zu wartenden Monolithen betrieben werden. Die Entwickler von damals sind inzwischen in Rente, der Nachwuchs (falls überhaupt vorhanden) kommt mit den veralteten Technologien nicht mehr zurecht und hat auch kaum Interesse, sich damit auseinanderzusetzen.

Diesen Berg an aufgeschobenen Modernisierungsmaßnahmen in der IT- und Anwendungslandschaft der Banken gilt es nun unter erschwerten Rahmenbedingungen anzugehen und die Banken-IT wieder konkurrenzfähig zu machen.

Steigender Fachkräftemangel als Wachstumsbremse

Nicht nur aus den Medien ist inzwischen bekannt, dass Deutschland stark unter Fachkräftemangel leidet. Im Alltag und insbesondere in der IT ist dies immer stärker zu spüren: notwendige Aufgaben müssen verschoben werden oder brauchen länger, da niemand die entsprechende Kapazität hat. Dies bremst beispielsweise dringend notwendige Projekte aus, die aber entscheidend sind, um Banken zukunftsfähig aufzustellen und anstehende Herausforderungen bewältigen zu können. So führt der Fachkräftemangel schnell zu einem wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen oder gar die ganze Branche.

Die Herausforderung für die Unternehmen: Bindung vorhandener, eingearbeiteter Mitarbeiter*innen, aber auch Gewinnung neuer, hart umkämpfter Experten*innen.

Kosten- und Effizienzdruck

Die schon oben beschriebene, notwendige Transformation klassischer Banken erfordert einen immensen Einsatz an Ressourcen und Zeit. Eurokrise, Niedrig-Zins-Politik oder Corona – viele äußere Umstände verschärfen die wirtschaftliche Situation vieler Banken und führen zu großem Kosten- und Effizienzdruck, um die notwendige Transformation finanzieren zu können. Dies bedarf guter Priorisierung und schwierigen Entscheidungen, aber auch einem starken Fokus auf verbesserte Vertriebskanäle und steigenden Umsatz.

UX != UI

Bevor ich auf die Frage eingehen, wie gute User Experience dabei unterstützen kann, die oben beschriebenen Herausforderungen zu bewältigen, möchte ich noch einmal in aller Kürze darstellen, um was es eigentlich bei User Experience (UX) geht.

Die Unterstützung des Business als Ziel

Viel zu oft wird UX immer noch mit einer „hübschen Oberfläche“ oder „Pixelschubsen“ gleichgesetzt. Doch es geht um viel mehr. UX will das Business dabei unterstützen, seine Ziele zu erreichen. Dabei versucht UX die Ziele des Nutzers mit denen des Business in Einklang zu bringen. Gelingt dies, hat man eine Applikation, die von den Nutzern gerne genutzt wird und so ein Katalysator für den Business Case darstellt.

Eine gute User Experience berücksichtigt dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte, zum Beispiel:

  • User Research: was sagen die Endnutzer über ihre Anforderungen und Bedürfnisse?
  • User Testing: wie sind die Rückmeldungen tatsächlicher Anwender zu meiner Applikation?
  • Usability & Accessibility: ist die Anwendung für alle Nutzergruppen leicht zu bedienen?
  • Information Architecture: ist die Navigation und die Verteilung der Informationen aus Nutzerperspektive logisch und intuitiv?
  • Content Strategy: wie sollte ich meinen Content aufbereiten und darstellen, um festgelegt Ziele zu erreichen? (z.B. Video vs. Beschreibungstexte vs. aussagekräftiger Fotos)

Auch wenn dies nur einige exemplarische Aspekte sind, wird schnell klar, dass UX mehr ist, als nur die schöne Oberfläche. Sie versucht einen ganzheitlichen Blick auf die Applikation aus Nutzerperspektive zu haben und diese im Sinne der Business Ziele zu gestalten.

Wie die Finanzbranche von UX profitieren kann

Nach einem kurzen Überblick darüber, welche Teile UX insgesamt umfasst, stellt sich natürlich die Frage, wie Vorgehensweisen aus dem Bereich UX die Finanzbranche bei den oben beschriebenen akuten Herausforderungen unterstützen kann.

Sich mit guter UX von der Konkurrenz absetzen

Die oben beschriebene Situation erfordert einen Spagat für etablierte Banken, um die Anforderungen der jüngeren Kunden erfüllen zu können, ohne jedoch die Bedürfnisse der finanzstarken, älteren Kunden zu vernachlässigen.

Durch gezieltes User Research lässt sich erarbeiten, wie wirkliche Bedürfnisse der jungen Kundengeneration aussehen und welche Probleme ihres Alltags sie von einer modernen Bank gelöst haben möchten. Mit Methoden wie Design Thinking, lassen sich schnell Lösungsideen generieren und, kombiniert mit den kurzen Iterationen einer agilen Softwareentwicklung, Prototypen oder erste Minimum Viable Products  (MVP) entwickeln. Schnelles Feedback aus User Testings führt zu einer effizienten und effektiven Entwicklung von Lösungen, die für die jungen Kunden einen echten Mehrwert bieten. Neue Features und echte Alleinstellungsmerkmale können gegenüber der Konkurrenz schnell und kosteneffizient auf den Markt gebracht werden.

Auf der anderen Seite gilt es, die entwickelten Features auch so zur Verfügung zu stellen, dass sie für ältere Kunden leicht verwendbar sind. Auch hierbei kann man sich aus dem UX-Werkzeugkasten bedienen. Eine durchdachte, kundenorientierte Informationsarchitektur, adäquate Sprache und einfach strukturierte und übersichtliche User Interfaces sind nur einige Aspekte. Dadurch lassen sich Hürden und Hemmschwellen für ältere Kunden*innen bei Angeboten, wie z.B. Online-Banking abbauen.

Obsoleszenz-Bereinigung und UX

Betrachtet man etablierte Banken unter der Herausforderung der Obsoleszenz, so ist es entscheidend, bei einer Ablöse alter Systeme nicht nur die technische Perspektive einzunehmen. Unserer Erfahrung nach wird bei solch eindimensionaler Herangehensweise sehr schnell eine eigentlich veraltete Benutzeroberfläche (und derer User Experience) 1:1 in neue Technologie übersetzt, ohne sie zu hinterfragen, zu validieren und an die aktuellen Marktbedürfnisse anzupassen.

Stattdessen sollte man die Gelegenheit nutzen und die Applikationen auch aus Nutzerperspektive und im Hinblick auf die abgebildeten Prozesse hinterfragen und aktualisieren. Zum einen verschafft es dem Unternehmen eine bessere Position in Konkurrenzfähigkeit und Kundenattraktivität gegenüber Mitbewerbern. Zum anderen hilft es, Kosten zu sparen, da – im Nachgang zur 1:1 Migration – nicht noch ein weiteres Projekt zur Verbesserung der UX aufgesetzt werden muss.

Gute UX als Werkzeug gegen den Fachkräftemangel

Der schon erwähnte Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt hat. Unternehmen müssen also ihren Mitarbeiter*innen mehr bieten, als nur ein sicheres Gehalt. Der Arbeitsplatz muss attraktiver gestaltet werden – dazu gehört auch die Software mit der die Mitarbeiter*innen tagtäglich arbeiten. Interne Software mit schlechter User Experience, kann für Mitarbeiter*innen zur Qual werden, wenn diese die Arbeit eher behindert, anstatt sie zu unterstützen und effizienter oder in höherer Qualität zu leisten.

Sicherlich wird gute User Experience nicht der Hauptgrund sein, weswegen sich ein*e Bewerber*in für ein Unternehmen entscheidet oder nicht. Sie kann aber sicherlich ein Baustein sein, um das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber auf dem Markt zu platzieren, dem Zufriedenheit mit den und Unterstützung durch die internen IT-Systeme wichtig ist.

Kostendruck mit guter UX reduzieren und die Effizienz steigern

Im Grunde gibt es zwei Ansätze, wie UX bei steigendem Kostendruck helfen kann.

Der erste Ansatz zielt darauf ab, die Absatzseite durch eine verbesserte User Experience bzw. Customer Experience bei B2C Applikationen zu stärken. Die Analyse und konsequente Optimierung der Customer Journey ermöglicht es den Kunden gezielt auf den Kauf eines Produkts oder Abschluss eines Vertrags hinzulenken. Intelligente, personalisierte und maßgeschneiderte Produktplatzierungen oder die Entwicklung von echten Unique Selling Points (USPs) in der Software, die sie von der Konkurrenz abhebt, können ein mächtiger Hebel sein, um den Umsatz zu stärken.

Der zweite Ansatz fokussiert auf die Kosteneinsparung durch Erhöhung der Effizienz. Durch die Verkürzung von Klickstrecken oder eine intuitive, intelligente Unterstützung bei der Bedienung von B2B-Applikationen lassen sich die Bearbeitungszeiten innerhalb von Organisationsprozessen teilweise erheblich reduzieren. Dies spart am Ende Kosten oder setzt Mitarbeiterkapazitäten frei, um andere wichtige Aufgaben zu erledigen.

Gleichzeitig ermöglicht z.B. gute Vorarbeit bei der User Research oder frühzeitiges User Testing die Vermeidung von teuren Nachbesserungen und schafft somit Lösungen, die exakt auf die Bedürfnisse der Endnutzer*innen (aber auch den Business-Zielen) zugeschnitten sind.

Ausblick

IT prägt zunehmend den Wettbewerb zwischen Banken und dem Kampf um Kunden. Hierbei ist gute User Experience weit mehr, als nur „nice to have“. Vielmehr kann sie – richtig und gut eingesetzt – den entscheidenden Vorteil bieten, um sich gegenüber der Konkurrenz hervorzuheben und die Kostenthematik in den Griff zu bekommen.

Wichtig ist, dabei das volle Leistungsspektrum von UX zu betrachten. Ihr Anwendungsfeld ist zudem nicht nur auf die typischen B2C Applikationen beschränkt – also beispielsweise das Onlinebanking-Portal. Auch die Optimierung von UX in internen und B2B Applikationen muss in Betracht gezogen werden, um das volle Potenzial ausschöpfen zu können.